Nach dem Unfall im Kernkraftwerk Fukushima im März 2011 kündigte der Europäische Rat vom 24. und 25. März 2011 eine Überprüfung der Sicherheit aller europäischen Kernkraftwerke auf der Grundlage einer transparenten und umfassenden Risikoanalyse – eines so genannten „Stresstests“ – an.
Ziel dieses Stresstests ist es, zu beurteilen, inwieweit Kernkraftwerke über Sicherheitsmargen verfügen, die ihre Betriebssicherheit auch in extremen Notsituationen gewährleisten.
- Was sind Stresstests?
- Welchen Umfang haben Stresstests?
- Wie laufen die Stresstests ab?
- Wo stehen wir heute?
- Berichte
Was sind Stresstests?
Ein Stresstest ist eine gezielte Neubewertung der Sicherheitsmargen kerntechnischer Anlagen. Angesichts der Ereignisse in Fukushima, bei denen extreme (natürliche) Bedingungen einen schweren Unfall verursachten, soll mit dem Stresstest überprüft werden, ob die Sicherheitsmargen auch unter extremen Umständen ausreichende Garantien bieten.
Diese Neubewertung besteht zum einen aus einer Beurteilung der Reaktionsfähigkeit der kerntechnischen Anlage auf Extremsituationen (siehe „Umfang von Stresstests“) und zum anderen aus einer Überprüfung der bestehenden vorbeugenden begrenzenden Maßnahmen nach der Logik der „Verteidigung in der Tiefe“.
Dieses Prinzip besteht darin, bestimmte auslösende Ereignisse (wie ein Erdbeben oder ein Hochwasser) anzunehmen und verschiedene Vorsorge- und Schutzmaßnahmen (sogenannte „Verteidigungsstufen“) so zu integrieren, dass im Falle eines möglichen Versagens einer ersten Maßnahme weitere Maßnahmen zur Verfügung stehen, um das Auftreten eines echten Sicherheitsproblems zu verhindern. Jede „Verteidigungsstufe“ muss für sich genommen robust genug sein, um ihre vorbeugende Funktion erfüllen zu können. Das Versagen einer Verteidigungsstufe darf keinen Einfluss auf das Funktionieren der nächsten Stufe haben. Die Philosophie des Stresstests betrachtet nacheinander das Versagen jeder Verteidigungsstufe und überprüft auf jeder Stufe, mit welchen Mitteln vermieden werden kann, dass sich die Situation noch weiter verschlimmert (Prävention), und wie letztendlich die Folgen eines möglichen schweren Unfalls begrenzt werden können.
Der Stresstest ist keine echte Prüfung für Extremsituationen, sondern eine technische Bewertung auf der Grundlage von Studien, Berechnungen und Bewertungen von Ingenieuren (engineering judgement). So wird beispielsweise die Erdbebensicherheit einer Anlage von hierfür speziell ausgebildeten Fachleuten geprüft. Sie besuchen die betreffende Anlage und geben eine Einschätzung der Erdbebensicherheit der verschiedenen Einrichtungen ab.
Ziel des Stresstests ist es, mögliche Verbesserungen zu identifizieren, damit geeignete Maßnahmen ergriffen werden können. Wenn sich herausstellt, dass notwendige Verbesserungen nicht möglich sind, können die betroffenen Anlagen still gelegt werden.
Die Nuklearsicherheitsbehörden FANK und Bel V haben die Aufgabe, den von den Betreibern durchzuführenden Stresstest zu bewerten (review). In Bezug auf Kernkraftwerke wird die Bewertung der FANK wiederum von einer Gruppe europäischer Experten geprüft (Peer Review).
Welchen Umfang haben Stresstests?
Anlagen
Obgleich auf europäischer Ebene nur verlangt wurde, die Kernkraftwerke einem Stresstest zu unterziehen, wurden die belgischen Stresstests auf alle noch in Betrieb befindlichen kerntechnischen Anlagen der Klasse I ausgeweitet. In Stilllegung befindliche Anlagen sind somit von diesen Stresstests nicht betroffen.
In Belgien betreffen Stresstests daher:
- bei Kernkraftwerken: die Blöcke 1, 2, 3 und 4 der Kernkraftwerke von Doel sowie die Blöcke 1, 2 und 3 der Kernkraftwerke von Tihange;
- bei anderen in Betrieb befindlichen kerntechnischen Anlagen der Klasse I: Belgoprocess und FBFC (Franco-Belge de Fabrication du Combustible) in Dessel, das IRE (Institut für Radioelemente) in Fleurus, die Gemeinsame Forschungsstelle der Europäischen Kommission (ehemals bezeichnet als Institut für Referenzmaterialien und -messungen, IRMM) in Geel, das Kernforschungszentrum in Mol, sowie andere Anlagen auf dem Gelände von Kernkraftwerken, die bisher nicht dem den Kernkraftwerken vorbehaltenen Stresstest unterzogen wurden. Dazu gehören vor allem die Anlagen für die Lagerung und Behandlung radioaktiver Abfälle am Standort und insbesondere das Gebäude zur Behandlung von flüssigen Ableitungen und Abfällen (WAB) auf dem Gelände der Kernkraftwerke Doel.
Technischer Umfang
Die Spezifikationen für die Durchführung dieser Stresstests wurden auf europäischer Ebene von ENSREG (European Nuclear Safety Regulators‘ Group) vorgeschlagen.
Die FANK hat für belgische Kernkraftwerksbetreiber Spezifikationen festgelegt, die über die europäischen Spezifikationen hinausgehen. Die Agentur hat ihre vorläufige Version der Spezifikationen am 17. Mai 2011 an ENGIE Electrabel übermittelt.
Vor allem auf der Grundlage der Spezifikationen der Stresstests für die Kraftwerke hat die FANK eine neue Spezifikation für den Stresstest erstellt, dem sich die anderen noch in Betrieb befindlichen Einrichtungen der Klasse I unterziehen müssen. Sowohl der Umfang als auch der Zeitplan dieses Stresstests wurden angepasst. Diese Spezifikationen wurden den betroffenen Betreibern Anfang Juli 2011 mitgeteilt.
Zusätzlich zu den Erdbeben- und Hochwasserrisiken (durch die Spezifikationen der ENSREG vorgeschriebene Untersuchung) haben die belgischen Betreiber kerntechnischer Anlagen auch andere extreme Naturereignisse (wie Stürme, Starkregen oder Waldbrände) sowie Terroranschläge und andere durch den Menschen verursachte Ereignisse (zum Beispiel Computerviren) untersucht.
In diesem Zusammenhang ermöglicht eine Risikoanalyse die Bewertung der Auswirkungen auf die Anlage und die Definition der Sicherheitsmarge, über die die Anlage verfügt, um dem jeweiligen Risiko zu begegnen. Bei Kernreaktoren berücksichtigt die Risikoanalyse bei einem Ausfall des Kühlsystems sowohl die Kühlung des Reaktorkerns als auch diejenige des Lagers für abgebrannte Brennelemente. Bei anderen kerntechnischen Anlagen der Klasse I bezieht sich die Untersuchung auf die Kühlung des Reaktors (wenn es sich beispielsweise um einen Forschungsreaktor handelt), insbesondere aber auch auf die Gefahr der Verbreitung radioaktiver Partikel. Darüber hinaus untersuchten die anderen kerntechnischen Anlagen der Klasse I im Rahmen der Analyse des Managements schwerer Unfälle auch das Brand-, Explosions- und Kritikalitätsrisiko (Kettenreaktion).
Wie laufen die Stresstests ab?
Die Tests finden bei Kernkraftwerken auf drei Ebenen statt.
- Die Betreiber führen die Stresstests durch und legen einen Fortschrittsbericht (progress report) und einen Abschlussbericht vor. Darin beantworten sie die Fragen, die sich aus den Spezifikationen der Stresstests ergeben, beschreiben die Reaktion der Anlage auf verschiedene Situationen und zeigen die Verbesserungen auf, die zur Erhöhung der Sicherheit der Anlagen im Vergleich zur aktuellen Situation vorgenommen werden könnten.
- Die Nuklearsicherheitsbehörde (FANK + Bel V) prüft diese Berichte auf inhaltlicher Ebene sowie bezogen auf die Durchführung des Stresstests und bewertet die Ergebnisse. Auf dieser Grundlage verfasst die FANK ihren eigenen Fortschritts- und Abschlussbericht.
- Der Abschlussbericht der Sicherheitsbehörde unterliegt einem Peer Review: Alle nationalen Berichte werden von anderen Nuklearsicherheitsbehörden innerhalb der ENSREG geprüft; diese Gruppe vertritt die 27 unabhängigen nationalen Behörden, die für die nukleare Sicherheit in ihrem jeweiligen Land zuständig sind. Dieses Konzept stellt die Glaubwürdigkeit des gesamten Prozesses sicher. Die Europäische Kommission verfasst daraufhin einen Abschlussbericht.
Für die anderen belgischen kerntechnischen Einrichtungen der Klasse I gelten nur die ersten beiden Ebenen, da diese Anlagen nicht in den Geltungsbereich dieser Spezifikationen der ENSREG fallen.
Wo stehen wir heute?
Basierend auf den Ergebnissen aller Stresstests haben die Betreiber Aktionspläne aufgestellt. Diese wurden von der Föderalagentur für Nuklearkontrolle (FANK) geprüft und gegebenenfalls ergänzt.
Alle Aktionspläne wurden schließlich von der FANK genehmigt und werden seitdem von den Betreibern umgesetzt.
Der Betreiber ist für die vollständige Durchführung seiner eigenen Maßnahmen verantwortlich. Bel V, die technische Tochterorganisation der FANK, überwacht im Auftrag der FANK die Fortschritte bei der Umsetzung des Aktionsplans des Betreibers.
Diese Verantwortung beinhaltet eine engmaschige Überwachung des Prozesses zur Umsetzung des Aktionsplans des Betreibers sowie Vor-Ort-Kontrollen, um die Konformität der in den Anlagen durchgeführten Maßnahmen zu bestätigen.
Die FANK veröffentlicht einen jährlichen Fortschrittsbericht zu diesem Thema.
Berichte
Belgische Kernkraftwerke
- Nationale Abschlussberichte
- 07/09/2020 (EN)
- 07/09/2020 (EN)
- Nationale Fortschrittsberichte
- Nationaler Aktionsplan: 20/12/2012 (EN)
- Nationaler Bericht über von Menschen herbeigeführte Ereignisse: 18/01/2012 (FR | EN)
- Nationaler Bericht für Kernkraftwerke: 23/12/2011 (FR | EN)
- Abschlussberichte von Electrabel über die Stresstests
Andere kerntechnische Einrichtungen der Klasse I
- Nationale Abschlussberichte
- Nationale Fortschrittsberichte
- Nationaler Bericht: 16/04/2013 (FR)